Anders als gedacht …

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Neuere Messungen zur Verteilung der Dunklen Materie im Kosmos und zur Verlangsamung der Erdrotation aufgrund der Gezeitenreibung haben zu anderen Ergebnissen geführt als bisher angenommen.

Beginnen wir mit der Dunklen Materie. Im Rahmen des Standardmodells der Kosmologie lassen sich einige Phänomene nur durch die Existenz Dunkler Materie erklären. Dazu gehören insbesondere die Rotationsgeschwindigkeit der Sterne in den Außenbereichen von Spiralgalaxien, der Zusammenhalt von Galaxienhaufen entgegen der durch die Bewegung der einzelnen Galaxien hervorgerufenen Zentrifugalkräfte, der Zusammenhalt von heißen Wasserstoffwolken entgegen dem inneren thermischen Druck sowie die Strukturbildung im Kosmos.

Aus den Messungen zur Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung ergibt sich für den Dichtekontrast (DK) der baryonischen Materie zum Zeitpunkt der Entkopplung von Strahlung und Materie (rund 380.000 Jahre nach dem Urknall) ein Wert von 10-5. Dabei versteht man unter Dichtekontrast die Abweichung der Dichte von der mittleren Dichte. Heute ist der DK auf großen Skalen ungefähr gleich 1. Da der DK proportional mit der Expansion des Universums anwächst und sich der Kosmos bis heute um einen Faktor von rund 1000 ausgedehnt hat, hätte der Dichtekontrast damals 100 Mal größer sein müssen, also einen Wert von 10-3, um auf den heutigen Wert von 1 anwachsen zu können. Diese Diskrepanz löst sich durch die Existenz Dunkler Materie. Denn da Dunkle Materie nicht der elektromagnetischen Wechselwirkung unterliegt, konnte sie früher als die baryonische Materie klumpen und einen größeren DK mit entsprechenden Potentialsenken entwickeln. Nach der Entkopplung von Strahlung und Materie fiel dann die baryonische Materie in die Potentialtöpfe der Dunklen Materie ein und gewann so überproportional schnell an Dichte.

Fazit: Ohne Dunkle Materie lässt sich insbesondere die Bildung der heute beobachtbaren Galaxienhaufen und Superhaufen nicht erklären.

Kommen wir zur Verteilung der Dunklen Materie, die mit 27 Prozent zum gesamten Energiehaushalt des Kosmos beiträgt. Zum einen lässt sich deren Verteilung aus den mit dem Planck-Satelliten gemessenen Fluktuationen in der kosmischen

Hintergrundstrahlung ableiten, zum anderen anhand der Bilder des schwachen Gravitationslinseneffektes berechnen. Der Gravitationslinseneffekt beruht auf der lokalen Krümmung der Raumzeit durch Massen. Das Licht eines entfernten Objekts wird durch die gekrümmte Raumzeit einer zwischen Objekt und Beobachter gelegenen Masse verzerrt. Die Masse im Vordergrund wirkt dabei als Linse für das Licht des Hintergrundobjekts (Bild 1).

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Bild 1 Schematisierter Gravitationslinseneffekt

 

Beim sogenannten „Starken Gravitationslinseneffekt“ beruht die Linsenwirkung auf relativ nahen, extrem massiven Vordergrundobjekten wie z.B. Schwarzen Löchern oder Galaxien. Dabei kommt es zu einer Helligkeitsverstärkung und einer Verzerrung des Hintergrundobjekts bzw. zu einer Aufspaltung in mehrere Bilder. Meist sind die Objekte zu Bögen verformt, in besonderen Fällen sind die Verzerrungen annähernd kreisförmig (Einstein-Ring).

Sind die Gravitationslinsen sehr weit entfernt bzw. die zugehörigen Gravitationsfelder sehr schwach, ist auch der Linseneffekt wenig ausgeprägt. Man spricht dann von einem „Schwachen Gravitationslinseneffekt“. In diese Kategorie fällt auch die sogenannte „kosmische Scherung“. Dabei dienen nicht einzelne Galaxien, sondern die in einem weiten Raumbereich liegenden großräumigen kosmischen Strukturen als Linse (Bild 2).

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Bild 2 (Quelle: https://www.cfht.hawaii.edu/News/Lensing/)

 

Im Ergebnis erfährt das Licht der Hintergrundobjekte, im Bild 2 links, auf dem Weg zum Beobachter eine Reihe von Ablenkungen (Scherung) durch die Gravitationsfelder der Vordergrundstrukturen. Dabei werden die Hintergrundobjekte zu Ellipsen verzerrt, die ringförmig um die Gravitationszentren ausgerichtet sind (Bild 3).

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Bild 3 (Quelle: P. Schneider, Extragalaktische Astronomie u. Kosmologie)

 

Obwohl einzelne Galaxien nicht mehr aufgelöst werden, kann man dennoch aus diesen Bildern mit statistischen Methoden die Menge und Verteilung der Dunklen Materie im betrachteten Raumgebiet anhand des Ausmaßes der Scherung ableiten.

Im Jahr 2012 hat man aus Messungen der Scherung mit dem „Canada France Hawaii Telescope Lensing Survey“ schon mal die Massenverteilung kartiert. Allerdings weichen die Ergebnisse deutlich von denen des Planck-Satelliten ab. Zusammen mit Astronomen auf der ganzen Welt wurde nun eine neue Untersuchung unter der Leitung von Hendrik Hildebrandt vom Argelander-Institut für Astronomie in Bonn und Massimo Viola vom Leiden Observatorium in den Niederlanden durchgeführt. Bei dieser bislang präzisesten Messung, dem „Kilo Degree Survey (KiDS)“ mit dem VLT Survey Teleskop der ESA in Chile, wurde ein Himmelsareal von 450 Quadratgrad, entsprechend einer Fläche von circa 2200 Mal der Fläche des Vollmondes, mit rund 15 Millionen weit entfernten Galaxien durchmustert. Im Dezember 2016 haben die Kosmologen die Ergebnisse veröffentlicht (Bild 4).

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Bild 4 (Quelle: https://kids.strw.leidenuniv.nl/)

 

Wie schon 2012, zeigte sich auch diesmal eine Diskrepanz zu den Ergebnissen der Planck-Mission: Die Materie war weit weniger geklumpt bzw. weniger dicht und gleichmäßiger verteilt als es die Planck-Daten vorgeben. Ein Maß, wie stark die Dichte der Materie bei einer bestimmten Durchschnittsdichte schwankt, ist der Parameter σ8. Aus den Planck-Messungen erhält man einen Wert von gerundet 0,83. Die KiDS-Durchmusterung ergab einen Wert von σ8 = 0745.

Nun ist guter Rat teuer. Im Prinzip sollten die Ergebnisse aus den beiden Messverfahren in engen Grenzen übereinstimmen. Was läuft da schief? Ist die Diskrepanz einem systematischen oder statistischen Fehler bei einer der beiden 4

Untersuchungen geschuldet? Noch ist nichts entschieden. Denn die KiDS-Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Man hofft auf noch mehr Daten, die mit noch größeren Teleskopen gewonnen werden sollen. Wenn sich letztlich herausstellen sollte, dass die Ergebnisse des KiDS die Dichteverteilung in der Dunklen Materie korrekt wiedergeben, dann haben die Kosmologen ein Problem. Dann müssen die im Rahmen des kosmologischen Standardmodells entwickelten Theorien zur Strukturbildung im Universum auf den Prüfstand. Hat sich das Universum so entwickelt wie bisher angenommen? Ist die vornehmlich von der Menge an Dunkler Materie abhängige Geometrie des Kosmos gar eine andere? Und wie entwickelt sich das Universum in ferner Zukunft? Gegenwärtig favorisieren die Kosmologen ein Szenario, gemäß dem sich der Kosmos immer weiter, aber immer langsamer ausdehnt und erst nach unendlich langer Zeit zum Stillstand kommt. Dazu muss der Energiehaushalt des Universums gleich der kritischen Dichte sein. Neben der Dunklen Energie bestimmt auch die Menge der dunklen und baryonischen Materie, wie groß der Energievorrat des Universums ist. Ist er kleiner als bislang angenommen, so würde das Universum immer schneller expandieren und es wäre nicht flach, sondern hyperbolisch gekrümmt.

Bei den Worten „schneller expandieren“ drängt sich die Vermutung auf, ob vielleicht die vom „Supernova Cosmology Project“ unter Saul Perlmutter und vom „High-z Supernova Search Team“ mit den Astronomen Brian Schmitt und Adam Riess festgestellte beschleunigte Expansion des Kosmos, die vor rund fünf Milliarden Jahren eingesetzt haben soll, etwas mit den KiDS-Ergebnissen zu tun haben könnte. Zugegeben: Das ist wilde Spekulation. Doch Einstein soll gesagt haben: „Wenn man nicht gegen den Verstand verstößt, kann man überhaupt zu nichts kommen“. Dennoch: Halten wir lieber den Ball flach und warten auf neue Erkenntnisse.

Themenwechsel.

Die Erde dreht sich in genau 23 Stunden, 26 Minuten und 4,10 Sekunden einmal um ihre Achse. Diese Zeit entspricht einem siderischen Tag (lateinisch: sidus = Stern), auch Sterntag genannt. Siderisch, weil die Erde nach dieser Zeit relativ zu den Hintergrundsternen wieder gleich ausgerichtet ist. Allerdings ist diese Tageslänge nicht konstant, sondern zeigt kurzfristige Schwankungen, die z.B. durch Verschiebung der Eisflächen bzw. der Wassermassen auf der Erde oder durch die

Verlagerung von Wasser in Form von Schnee auf höher gelegene Gebiete verursacht werden. Insbesondere die Variation der atmosphärischen Jet-Ströme führt zu einer zeitlichen Schwankung von etwa zwei Millisekunden.

Neben diesen kurzfristigen Schwankungen der Tageslänge verändert sich die Tageslänge auch langfristig, und zwar dauerhaft. Verantwortlich dafür sind die Gezeitenkräfte, die Mond und Sonne (halb so stark wie die des Mondes) auf die Erde ausüben. Dadurch werden sowohl auf der dem Mond zugewandten als auch auf der dem Mond abgewandten Seite der Erde Flutberge hervorgerufen. Da sie stets auf den Mond ausgerichtet sind und sich die Erde während eines Tages unter den Flutbergen durchdreht, entstehen Reibungskräfte, die die Rotation der Erde bremsen. Berechnet man die Bremsung der Erdrotation anhand der Auswirkung der Gezeitenreibung, so sollte der Tag pro Jahrhundert um 2,3 Millisekunden länger werden. Im täglichen Leben ist das nicht wahrnehmbar. Aber falls das so weitergeht, würde der Tag in rund 156 Millionen Jahren nicht 24, sondern 25 Stunden lang sein. Unsere Nachfahren, vorausgesetzt es gibt dann noch Menschen, müssen entweder eine Stunde länger arbeiten, oder sie haben eine Stunde mehr zur freien Verfügung.

Doch nun haben Catherine Hohenkerk und Kollegen vom Königlich britischen Nautical Almanac Office in Taunton sich die Bremsung der Erdrotation nochmal genauer angesehen. Dazu werteten sie 300 Sonnenfinsternisse aus, die sich im Zeitraum von 720 v.Chr. bis zum Jahr 1600 ereignet hatten. Aus der Geschwindigkeit, mit der sich der Finsternispfad über die Erdoberfläche bewegte, konnten die Forscher Information über die Veränderung der Erdrotation im genannten Zeitraum gewinnen. Weitere Daten lieferte eine Auswertung der seit Erfindung des Teleskops aufgezeichneten Sternbedeckungen durch den Mond, die ebenfalls von der Erdrotation beeinflusst werden. Aus der Zusammenschau der Daten errechneten die Forscher eine geringere Abbremsung der Erde, indem die Tageslänge nur um 1,78 Millisekunden pro Jahrhundert zunimmt.

Da dieser Wert deutlich kleiner ist als der, den die Gezeitenreibung allein verursacht, stellt sich die Frage: Gibt es einen Mechanismus, der die Erdrotation entgegen der Gezeitenbremse wieder beschleunigt? Eine Ursache sehen die Forscher im Abschmelzen der Eiskappen, wodurch sich der Druck auf die darunterliegenden Gesteine verringert. Die Erde federt praktisch zurück, wobei sich die Abplattung der Erde und somit deren Trägheitsmoment ändert. Ferner könnten geodynamische

Prozesse eine Rolle spielen, wie z.B. eine Verschiebung des Erdkerns gegen den Erdmantel. Um Gewissheit über die dominante Ursache zu erhalten, bedarf es noch weiterer Untersuchungen. – Wie auch immer: Sollte sich die Erdrotation tatsächlich weniger verlangsamen als bisher angenommen, so hätten unsere Nachfahren noch rund 200 Millionen Jahre Zeit, bis sich ihr Tag um eine Stunde verlängert.

Die Bremsung der Erdrotation führt direkt zu der Frage: Bleibt die Erde in ferner Zukunft vielleicht ganz stehen? Was die Gezeitenreibung betrifft, so ist die Antwort darauf ein klares „Nein“. Denn wenn sich die Erdrotation dereinst so weit verlangsamt haben wird, dass eine Umdrehung der Erde genauso lange dauert wie ein Umlauf des Mondes um die Erde, ist Schluss mit Bremsen. Denn dann weist die Erde dem Mond immer die gleiche Seite zu, eine Situation, die man auch als gebundene Rotation bezeichnet. Die Flutberge bleiben immer am gleichen Ort und drehen sich mit der Erde mit. Damit entfällt auch die Drehimpuls raubende Reibung zwischen der Erde und den Flutbergen.

Noch ein Wort zum Drehimpuls der Erde, der ja durch die Verlangsamung der Rotation kontinuierlich abnimmt. Wir haben gelernt: Der Drehimpuls ist eine Erhaltungsgröße und kann daher nicht verloren gehen. Aber wo geht er hin? Er addiert sich zum Bahndrehimpuls des Mondes, sodass die große Halbachse der Mondbahn wächst. Der Mond entfernt sich also immer weiter von der Erde, und zwar gegenwärtig um rund 3,8 Zentimeter pro Jahr.

 


Copyright © Josef M. Gaßner

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