Vor kurzem hat sich der bekannte Physiker und Kosmologe Stephen Hawking mit einer Idee zur Lösung des Informations-Paradoxons bei Schwarzen Löchern zu Wort gemeldet. Nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie (ART) verschwindet Materie beim Überschreiten des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs (SL) gemeinsam mit der von der Materie transportierten Information auf Nimmerwiedersehen. Die Information ist verloren. Nach den Regeln der Quantenmechanik hat jedoch Information auf ewig Bestand und kann nicht vernichtet werden. Diesen Widerspruch bezeichnet man als Informations-Paradoxon. Die Lösung des Problems sieht Hawking in einem auf den ersten Blick plausiblen Prozess: Die Information gelangt gar nicht in das Innere des SL, sondern wird am Ereignishorizont gespeichert, um von dort mit der Hawking-Strahlung – auf die wir gleich zu sprechen kommen – wieder nach außen transportiert zu werden. Dabei soll die Information jedoch chaotisch „verwirbelt“ sein, sodass sie nicht mehr „lesbar“ und somit für physikalische und praktische Anwendungen wertlos ist.
1975 postulierte Stephen Hawking, dass von Schwarzen Löchern eine Strahlung ausgeht, die ihnen Energie entzieht und sie schrumpfen lässt. Ursächlich für diese Strahlung sind sich fortwährend im Vakuum ereignende sogenannte Vakuumfluktuationen, wobei spontan virtuelle Teilchen/Antiteilchenpaare entstehen, die sofort wieder zerstrahlen und die für ihre Entstehung dem Vakuum entliehene Energie wieder an das Vakuum zurückgeben. Ereignet sich eine derartige Fluktuation in unmittelbarer Nähe des Ereignishorizonts eines SL, so kann es aufgrund der starken Raumzeitkrümmung in diesem Bereich zu einer Trennung der virtuellen Teilchenpaare kommen. Eines der beiden Teilchen fliegt in das SL, während das andere, nun als reales Teilchen, sich vom SL als sogenannte Hawking-Strahlung wegbewegt.
Entstehung der Hawking-Strahlung am Ereignishorizont eines SL
Die Energie für die Trennung, für die Wandlung des virtuellen in ein reales Teilchen und für die Bewegungsenergie des Teilchens gehen zu Lasten des SL. Da E = mc2, verliert das SL entsprechend an Masse, es schrumpft und „verdampft“ schließlich komplett. Bei einem SL von einer Sonnenmasse vergehen dabei circa 1066 Jahre. Der Begriff „Strahlung“ umfasst, je nach Masse des SL, nicht nur unterschiedliche Teilchen unterschiedlicher Masse, sondern auch elektromagnetische Wellen, die bei der Annihilation von realen Teilchen und Antiteilchen am Rande des Ereignishorizonts entstehen (siehe Grafik).
Entstehung der Hawkink-Strahlung (Credit: E. Siegel, on the quantum origin of Hawking Radiation)
Eine andere Erklärung der Hawking-Strahlung beruht auf den Gesetzen der Thermodynamik. Demnach strahlen alle Körper, je nach ihrer Temperatur, elektromagnetische Wellen, das heißt Licht ab. Auch Schwarzen Löchern lässt sich eine Temperatur T zuordnen. Sie ist umgekehrt proportional zur Masse M des SL und wird daher mit zunehmender Masse immer niedriger.
Formel zur Berechnung der Hawking-Temperatur eines SL
Entsprechend strahlen kleine SL stärker als massereiche. Mit welcher Intensität, in welchen Wellenlängenbereichen diese Objekte Licht abgeben, lässt sich mit der von Max Planck aufgestellten Strahlungsformel berechnen. Stellare SL – sie entstehen bei Supernova-Explosionen von Sternen mit wenigstens 25 Sonnenmassen – weisen Temperaturen von rund einem Millionstel Kelvin auf (Null Kelvin, die Temperatur am absoluten Nullpunkt, entspricht minus 273,15 Grad Celsius). Da – siehe Formel – T umgekehrt proportional zur Masse des SL ist, hat ein SL von einigen Millionen Sonnenmassen nur noch eine Temperatur von etwa einem Billiardstel Kelvin. Damit dürfte die zu erwartende Strahlungsleistung massiver SL so gering sein, dass man einen enormen messtechnischen Aufwand betreiben müsste, allein um sie aus dem Rauschen der sehr schwachen kosmischen Hintergrundstrahlung herauszufiltern. Der „thermodynamische Ansatz“ zur Hawking-Strahlung scheint jedoch insofern unvollständig, da er quantenmechanische Prozesse nicht berücksichtigt, sodass damit nur eine Emission elektromagnetischer Wellen erklärbar ist.
Erwähnt sei noch, dass es bislang nicht gelungen ist, Hawking-Strahlung experimentell nachzuweisen. Den Grund dafür haben wir angedeutet. Die folgenden Ausführungen machen daher nur Sinn, wenn es die Hawking-Strahlung wirklich gibt. Gehen wir also davon aus: sie existiert.
Zurück zum Informations-Paradoxon. Verdampft ein SL aufgrund des mit der Hawking-Strahlung einhergehenden Energieverlustes, dann, so der erste Gedanke, sollte auch eventuell vorab vom SL verschluckte Information perdu sein. Man kann den Standpunkt vertreten, das sei nicht schlimm. Denn unseres Wissens hat bislang niemand die Information vermisst, die in den SL seit Anbeginn ihrer Existenz verschwunden sein mag. Vom Standpunkt der theoretischen Physik ist das natürlich zu kurz gedacht. Denn hier geht es um die Gesetze der Quantenphysik und Relativitätstheorie. Sind sie verletzt? Sollte Information tatsächlich verloren gehen können, dann muss die Quantenphysik „repariert“ werden. Kommt die Information aber wieder zum Vorschein, so hat die Allgemeine Relativitätstheorie ein Problem, denn nach deren Gesetzen kann aus einem SL nichts entkommen.
Die Physiker und Kosmologen Lee Smolin und Sabine Hossenfelder haben vor Kurzem denkbare Lösungen dieses Paradoxons zusammengestellt. Eine besagt: Die Information ist in der Tat verloren, und die Gesetzte der Quantenmechanik sind unvollständig. Ein anderer Lösungsweg setzt auf die Entstehung eines neuen Raumzeit-Gebiets im SL, eine Art Baby-Universum, in welchem die Information gespeichert und bewahrt ist. Wieder andere Lösungen ziehen „Weiße Löcher“ in Betracht, hypothetische, zu den SL konträre Objekte, in die nichts hineinfallen, sondern nur etwas entweichen kann, einschließlich Information. Man kann sich auch vorstellen, dass SL gar nicht komplett verdampfen, sondern lediglich auf ein unvorstellbar kleines Volumen schrumpfen, in dem die Information verbleibt. Es könnte auch sein, dass die Information auf irgendeine Art vom Inneren des SL nach außen kopiert wird, sodass sie, selbst wenn das SL total verdampft, dennoch erhalten bleibt. Ein letzter Vorschlag zielt schließlich darauf ab, dass die Information gar nicht in das Innere des SL gelangt, sondern verschlüsselt am Ereignishorizont des SL „abgelegt“ wird und von dort wieder verfügbar sein soll. In diese Richtung geht auch der von Hawking ins Spiel gebrachte Vorschlag zur Lösung des Informations-Paradoxons.
Hawkings Vorschlag besagt, dass die Information gar nicht in das SL gelangen soll, sondern schon am Ereignishorizont abgefangen und dort als zweidimensionale Modifikation der dreidimensionalen Materie abgelegt wird. Hawking spricht von einer „Supertranslationen“, die immer dann dem Ereignishorizont des SL aufgeprägt wird, wenn die in das SL stürzende Materie den Ereignishorizont überschreitet. Hawking sagt dazu etwas mysteriös: „Die Idee ist, dass diese Supertranslation ein Hologramm der einströmenden Teilchen bildet. Dadurch erhalten sie all die Information, die sie sonst verlieren würden“. Wobei noch zu ergänzen ist, dass die in das SL fallende Materie, wie von der Allgemeinen Relativitätstheorie verlangt, verloren ist. Wie jedoch die Information vom Ereignishorizont auf die Hawking-Strahlung übergeht, dazu erfährt man nichts. Lediglich, dass sie chaotisch verändert und somit nicht mehr lesbar sein soll.
Die wissenschaftliche Gemeinde hat diesen Vorschlag mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Es fehlt schlichtweg noch an „Substanz“, denn bislang hat Hawking seine Idee weder in einer Publikation präzisiert noch irgendwelche Gleichungen geliefert. Man fragt sich, ob dieser Vorschlag wirklich zu einer Lösung des Informations-Paradoxons führen kann, oder ob damit nicht zu den bereits mannigfaltigen Lösungsvorschlägen lediglich ein weiterer hinzugefügt ist, der die allgemeine Ratlosigkeit noch verstärkt. Manche gehen sogar so weit zu behaupten: Hätte nicht Hawking, sondern jemand anderes diese Idee öffentlich gemacht, kaum einer hätte sich darum gekümmert. Vielleicht macht uns Hawking aber bald schlauer, denn in Kürze wollen er und seine Kollegen zu diesem Thema einen Fachartikel veröffentlichen.
So verworren die Angelegenheit ist, immer mehr Wissenschaftler glauben mittlerweile, dass hier die Stringtheorie, an deren Durchbruch mit Nachdruck gearbeitet wird, weiter helfen könnte. Obwohl von manchem renommierten Wissenschaftler, auch in unserem nahen Umfeld, strikt abgelehnt, scheint sie im Vergleich zu den Jahrzehnte langen Versuchen, die Quantentheorie mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zu versöhnen, das Potential zu haben, die Gravitation in die Quantenfeldtheorie mit einzubeziehen. Das scheint unverzichtbar, um genauere Aussagen z. B. zu Singularitäten – unendlich kleine Raumzeitpunkte von unendlicher Dichte –, zu denen die Allgemeine Relativitätstheorie bei sehr kleinen Skalen führt und zu Schwarzen Löchern machen zu können: Gibt es Singularitäten wirklich, oder sind sie lediglich das Resultat unzulänglicher mathematischer Gleichungen und wie sieht es im Innern von SL aus? Herrscht hier erst mal Klarheit, darf man auch auf eine Lösung des Informations-Paradoxons hoffen.
Jörn Müller (23. Sept. 2015)
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