Kosmische Inflation auf dem Prüfstand
Die Zweifel mehren sich. Gab es die kosmische Inflation, die das Universum in der kurzen Zeitspanne von 10-32 Sekunden um einen Faktor von mindesten 1030 aufgebläht haben soll, wirklich? Was im Rahmen des kosmologischen Standardmodells die inflationäre Expansion – zumindest bislang – so unangreifbar macht, ist die Tatsache, dass damit einige Gegebenheiten des Kosmos, die unter der Annahme eines linearen Größenwachstums nicht erklärbar sind, zwangsläufig zustande gekommen sein müssen. Dazu gehören insbesondere die Gleichförmigkeit (Isotropie) der kosmischen Hintergrundstrahlung sowie die Lösung des Flachheits- und des Horizontproblems. Ferner erklärt die Inflations-Hypothese die Entstehung der Dichtefluktuationen, aus denen sich die großräumigen Strukturen entwickelt haben, indem die extreme Expansion ursprüngliche Quantenfluktuationen des Inflatonfeldes auf makroskopische Größe gedehnt haben soll. Im Rahmen des Urknallmodells scheint somit die kosmische Inflation eine zwar unbewiesene, aber unverzichtbare Hypothese zu sein.
Nichtsdestotrotz zeigt die Hypothese der exponentiellen Expansion deutliche Schwächen. Nach Meinung einiger Kosmologen passt das Muster der
Hintergrundstrahlung nicht zur postulierten exponentiellen Expansion. Insbesondere vermisst man in der Hintergrundstrahlung einen „Fingerabdruck“ von den Gravitationswellen, welche die enorme Expansion ausgelöst haben müsste.
In letzter Zeit beschäftigen sich daher einige Kosmologen mit der Entwicklung alternativer Modelle. Einiges, was da angedacht wird, ist z.B. in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“, Heft 6.17, nachzulesen. Vor kurzem wurde auch über Experimente berichtet, die geeignet erscheinen, die Inflationshypothese entweder zu bestärken oder weiter in Zweifel zu ziehen. Das Experiment beruht auf der Idee, wie zum Higgsfeld ein Teilchen gehört, das Higgs-Teilchen, auch zum Inflatonfeld ein Teilchen gehören muss, das Inflaton. Im Prinzip sind diese Teilchen nichts anderes als angeregte Zustände des jeweiligen Feldes und somit nachweisbar.
Im Rahmen von Modellen, die sogenannte versteckte Teilchenbereiche (Hidden Dark Sector Model) thematisieren, haben Forscher am LHC (Large Hadron Collider) in Zusammenarbeit mit der dortigen LHCb-Collaboration (eine Gruppe, die sich vornehmlich mit Teilchenzerfällen beschäftigt, die ein bottom-Quark enthalten) nach einem langlebigen Skalar-Teilchen, d.h. einem Teilchen mit Spin = 0, gesucht, das als das Inflaton-Teilchen des Inflatonfeldes angesehen werden kann. Dabei bezieht sich der Begriff „Hidden Dark Sector“ auf Bereiche, die neuartige, leichte, schwach gebundene Teilchen umfassen, die nicht mit den drei bekannten Fundamentalkräften, der starken, der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkung, interagieren. In der Natur kommen viele dieser Hidden Dark Sector(en) vor, alle mit individueller Struktur und individuellen Teilchen. Dazu gehören beispielsweise auch die vermuteten Dunkle-Materie-Teilchen. Möglicherweise führt die Erforschung derartiger Teilchen sogar zu einer neuartigen Physik.
Um dem besagten Inflaton auf die Spur zu kommen, haben die Forscher am LHC durch Proton-Proton-Kollisionen erzeugte B+-Mesonen untersucht (das B steht für den Begriff „beauty“). Diese Mesonen bestehen aus einem up- und einem Antibottom-Quark. Wie Bild 1 zeigt, zerfällt das B+-Meson in ein Kaon K+ und ein ?-Teilchen, das gesuchte hypothetische Inflaton. Bei diesem Prozess koppelt das Inflaton über ein Higgs-Boson an ein top-Quark, das seinerseits über ein W--Boson den Übergang des B+-Mesons in das K+-Kaon vermittelt. Anschließend zerfällt das ?-Teilchen in ein Myon µ- und ein Anti-Myon µ+ (siehe Bild 1).
Bild 1: Feynman-Diagramm des Zerfalls des Beauty-Mesons
(Quelle: Physical Review D 95, 071101(R) (2017))
Entsprechend der Theorie soll die Lebensdauer des ?-Teilchens im Bereich von 0,1 bis etwa 1000 Picosekunden und seine Masse im Bereich von 250 bis 4700 MeV/c2 liegen. Erfolgt der Zerfall entsprechend Bild 1, so sollte sich das in einem Überschuss von Myonen und Anti-Myonen über den erwarteten allgemeinen Myonen-Hintergrund bemerkbar machen.
Wie die Forscher berichten, haben die Untersuchungen jedoch kein derartiges „Überschuss-Signal“ geliefert. Das muss nicht heißen, dass es das Inflaton nicht gibt. Vielleicht hat es ja eine Masse jenseits des untersuchten Bereichs von 250 bis 4700 MeV/c2. Dennoch schränkt das Ergebnis die Theorie der Existenz eines skalaren Inflatons stark ein.
Muss man nun nach einer neuen Theorie hinsichtlich der inflationären Expansion des Kosmos suchen? Vielleicht ja. Doch solange man kein neues, schlüssiges Konzept vorweisen kann, sollte man die alte Theorie nicht verdammen. In Ermangelung einer besseren Alternative bleibt das Urknallmodell und die exponentielle Expansion das bevorzugte Konzept zur Erklärung der kosmologischen Entwicklung. In diesem Sinne soll der Kosmologe Alan Guth gesagt haben: Die Inflation, wenn sie denn wahr ist, ist nicht das Ende der Erforschung der kosmischen Ursprünge, sondern nur ihr Anfang.
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